MVJstories

MVJstories ist ein Blog, auf dem eine kleine Gruppe junger Schriftsteller Auszüge aus ihren Werken veröffentlicht. Feedback ist ausdrücklich erwünscht. Und nun viel Spaß beim lesen!

Dienstag, 28. Juni 2016

Einen Monat arbeitslos

Arbeitslosigkeit ist auch im einundzwanzigsten Jahrhundert noch ein elementares Problem, welches nach Statistiken der Bundesagentur für Arbeit mehr als 2,6 Millionen Menschen in Deutschland betrifft. Doch speziell um diesen Menschen zu helfen, gibt es die Bundesagentur für Arbeit. Sie dient als Ansprechpartner, Jobvermittler und Helfer in finanzieller Not.
Um diese Dienstleistung einmal genauer betrachten, und objektiv darüber berichten zu können, habe ich mich einmal für einen Monat Arbeitslos oder Arbeitssuchend gemeldet. Meine Erlebnisse könnt ihr im Folgenden erfahren.

Eine Arbeitslosmeldung stellt man sich oft ziemlich einfach vor: Man geht zur Bundesagentur für Arbeit, füllt ein paar Zettel aus, reicht diese ein und schon bekommt man Geld und den Kenntnissen entsprechende Jobangebote zugesandt.
Nun... Man geht zur Bundesagentur für Arbeit, soweit ist es richtig.

Doch nun alles der Reihenfolge nach: Man zieht zunächst eine Nummer, was keine Besonderheit ist, schließlich machen das viele so. Anschließend wartet man... und man wartet... und wartet... und wartet... und wartet...
Nach nicht weniger als einer Stunde, kam ich endlich an die Reihe und wurde weitergeschickt mit dem Satz: "Die Kollegen wissen Bescheid und werden Sie aufrufen."
"Ja Super," dachte ich mir "jetzt geht es endlich los." IRRTUM. Denn vor mir waren noch einmal 15 bis 20 andere Personen dran. Eine weitere Stunde später, war es dann endlich soweit und ich durfte die heiligen Hallen der Hoffnung betreten und mich arbeitslos melden.
Und dann? Wie komme ich denn nun an Geld? Ich hab schließlich ‘ne Wohnung zu bezahlen und Essen ist manchmal auch nicht so verkehrt.
Der Kollege bei der Bundesagentur für Arbeit konnte mir auch dabei weiter helfen und verwies mich auf eine andere Stelle, die quasi direkt gegenüber war. Aber erst am nächsten Tag erreichbar, da die Sprechzeiten für diesen bereits vorbei waren.
Ich ging also ganz gemütlich nach hause und bereitete meinen Antrag auf Hartz IV vor und sah mich plötzlich von Zetteln umringt, derer kaum ein Erdling Herr werden konnte. Mein Drucker Hustete und Schluckte ob der im Sekundentakt rein kommenden Aufträge doch er hielt Tapfer bis zum Schluss durch.
Für mich begann nun erst der eigentliche Spaß. Nach bestem Wissen und Gewissen beschrieb ich Tonnenweise Papier bis ich irgendwann nach Luft schnappend aus einem Papiermeer auftauchte und rief: „Wo ist dieser verflixte Passierschein A38?“
An mehr erinnere ich mich von diesem Tag nicht.
Am nächsten Tag warf ich alle Zettel egal ob beschrieben oder nicht auf einen eigens dafür gemieteten Kleintransporter und machte mich erneut auf den Weg.
Nachdem ich eine halbe Stunde suchend nach der Außenstelle, welche nirgends im Internet erwähnt wird und zu der mich eine schwammige von Handgeschriebene Notiz des Sachbearbeiters vom Vortag, lotsen sollte, verbracht hatte, war ich endlich am Ziel. Wieder meldete ich mich an und wartete. Ich wartete um Gesagt zu bekommen, dass ich mir die Arbeit des Ausfüllens hätte sparen können und ich ohnehin einen extra Termin benötigte um den Antrag auf Hartz IV abgeben zu können, mal ganz davon abgesehen ein Großteil der Zettel falsch war und ich ganz andere benötigte. Unter lautem seufzen warf ich alle Zettel einmal in die Luft, so dass sie wie ein sanfter Regen im ganzen Raum hernieder fielen. Als krönender Abschluss fiel der Passierschein A38 auf die Tastatur der freundlichen Dame, welche mir die richtigen Zettel mitgab und für mich einen Termin zur Abgabe vereinbarte.
Als letzte gute Tat verwies sie mich noch an einen Herrn W, welcher aufgrund eines nicht erschienenen Klienten auch sofort Zeit für mich hatte. Moment… Sofort? Nein, nichts passiert sofort. Also, Korrektur: […] welcher aufgrund eines nicht erschienenen Klienten nach nicht mehr als einer halben Stunde Zeit für mich hatte.
Während mir die Kollegen zuvor immer sehr freundlich entgegen traten, auf meinen Humor reagierten und sich stets bemühten mir weiter zu helfen, war dieser Herr W genau der Typ Mensch wie man ihn bei der Bundesagentur für Arbeit erwartete. Er war die Elite, der Frontmann, er war die Armee der Toten die man als letztes Ass bat für einen zu Kämpfen. Die Geheimwaffe um die Flüchtlingsquoten in Deutschland zu senken, denn jeder der mit ihm zu tun bekam, floh soweit er konnte. Man sagt er habe sogar mal Chuck Norris getötet*, er soll ihn einfach in Stücke geschrien haben. Ich dagegen war lediglich ein kleiner Abenteurer der einmal einen Pfeil ins Knie bekommen hatte und sich nun Arbeitslos melden wollte.
Schon als ich das Stampfen seiner Füße durch den Flur hallen hörte, wusste ich: Dieser Mann ist gefährlich. Um so überraschter war ich, als ich ihn sah. Er war zwar bestimmt einen Kopf größer als ich allerdings hätte man ihn ohne Probleme unter einer Brandschutztür durchschieben können.
Dieser Mann machte mir in einem beeindruckend einschüchternden Tonfall klar, dass ich nichts, rein GAR NICHTS(!!!) wert war. Er sagte mir, was ich (im nächsten Monat) durfte und was nicht und wenn es nicht gesagt würde, dann durfte ich es auch nicht.
„Staatlich geprüfter Sozialassistent? DANN SIND SIE ES JA GEWOHNT NICHT ZU DENKEN!“
„Ja, Sir!“
„DANN KÖNNEN SIE ALSO AUF DEM BAU ARBEITEN!“

Nun ja, was soll ich sagen? Mein Selbstwertgefühl hat diese Erfahrung zerstört, doch es bietet ein bisschen Stoff für Geschichten und hey: Immerhin hab ich ‘ne Woche Urlaub bekommen.



Mit freundlichsten Grüßen
Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland, Kdnr. 101583419001


Auf meinem Grabstein soll stehen: „Er war nur einen Monat Arbeitslos.“





*Der Tod hat sich nur noch nicht getraut es ihm zu sagen.

Montag, 2. Mai 2016

Taxmans Dawn von Real Vertuality Games

Sämtliche hier behandelte Inhalte beruhen auf anderen tatsächlich erfundenen Inhalten.

Taxmans Dawn von Real Vertuality Games ist ein Computer Rollenspiel, welches sowohl Einzelspieler- als auch Mehrspielerinhalte bietet.
Dabei begeistert das Spiel nicht nur durch eine unglaubliche Spielmechanik und eine revolutionäre Grafik, sondern ebenso durch eine fesselnde Story.
Das Spiel beginnt im Jahr 2211. Nachdem das Finanzamt Jahrelang aus dem Untergrund heraus das System infiltriert hat, herrscht es nun über die ganze Welt. Nur wenige Gebiete sind geblieben, welche die Mitglieder der Organisation noch nicht beherrschen. In ihrer Vorgehensweise sind sie skrupellos. Wer nicht zahlt bekommt eine Abmahnung, nach der dritten Abmehnung folgt die Todesstrafe.

Nachdem sie auch Panama kontrollierten, kam der aufschwung für die zuvor unbedeutende Organisation. Jetzt hatten sie alles in der Hand. Sie durften nun entscheiden, wer zahlt und wer nicht. Wer gute beziehungen hatte oder großes ansehen genoß, der blieb. Alle anderen wurden zu Sklaven der Arbeit und des Finanzamtes. Denn wer nicht arbeitete, der konnte nicht zahlen und schied so nach drei Abmahnungen aus. Sie nannten es Selektion. Alle anderen nannten es terror.
Als Mitglied der ATSF (Anti Taxman Special Force) versuchst du das Finanzamt zu stürzen. Das ATSF versucht Leute in die Organisation ein zuschleusen, die dann versuchen das System von innen heraus zu zerstören. Du bist ihnen dabei behilflich.
Mit nichts als einem Zettel, einem Stift und den beiden Geschwistern Deh und Inn Flation, versuchst du deiner Aufgabe gerecht zu werden.
Eine spannende Wendung nimmt das Spiel, als man erfährt, dass Deh ihre zweite Abmahnung bekommen hat. Sie ist studentin und hat damit nicht einmal soviel Geld, wie von ihr verlangt wird. Um die Gruppe nicht zu beunruhigen, hielt sie die erste Abmahnung jedoch noch geheim in der Hoffnung, es werde sich alles richten.
Nun geht es um mehr. Nicht nur, die Welt sondern auch das überleben einer guten Freundin hängt von der Erfüllung deiner Aufgabe ab. Wird es dir gelingen?

Im Multiplayermodus bietet das Spiel ein breites Ausmaß. Man taucht regelrecht in den Wahnsinn der Bürokratie ein und versucht gemeinsam mit Freunden Erfolge zu erzielen. Nach und nach befreit man die Karte (welche in ihrer Größe der von The Elder Scrolls Online ® sehr nahe kommt) von den Mitgliedern der diktatorischen Organisation.
Dabei sollte man aber dringend darauf achten auch zu zahlen sonst zahlt man mit seinem Leben und wird an einen extraktionspunkt teleportiert. Kernaspekt ist der Papierkrieg, wie er im Volksmund genannt wird. Laut einer alten überlieferung wird es so lange einen Austausch an Schriften geben, bis das Gewicht des Papieres die Erde in ihrer Masse zerdrückt und in Einzelteilen in das weite All hinaus geschleudert wird. Erst dann – heißt es – sei die Menschheit bereit für einen Neuanfang.


"Ein packendes Spielerlebnis, was der Realität erschreckend nah kommt."
- PC GRAFIK Spiele

"Dieses Spiel verspricht Romantik, Action und Suicidgefahr für die ganze Familie."
- FLIP Online

"Ey ich glab iisn Bug,ey , kan dn Ändgegnr nich plätn. Habt ihr ehnlchis proplem?"
- User auf gutefragenächstefrage.net


Autor: Victor Ian Clockwork

Dienstag, 9. Februar 2016

Tagebuch der „Isolationa“ Teil 2 - Ace Miller



Tag 11, erster Eintrag:
Verdammt! Das Essen schmeckt nach Erbrochenem. Die
Langeweile zerrt an meinen Nerven. Und diese Stille, die
unerträgliche Stille. Ich hätte mich nie dazu melden sollen.


Zweiter Eintrag:
Hab vorhin gerade eine Musikanlage gefunden, sie gleich an
den Generator angeschlossen. Nur Country Musik, aber besser
als nichts. Ich sollte jedoch nicht zu oft die Musik hören,
wer weiß wie lange der Strom bleibt.


Tag 15:
Die Basis hat sich seit 8 Tagen nicht mehr gemeldet.
Verdammt, was ist denn da nur los. So gravierend sind die
technischen Störungen? Ich habe versucht sie zu
kontaktieren, doch ich habe kein Signal bekommen. Die
anderen sollten eigentlich den Treibstoff und die restlichen
Vorräte bringen. Ich sollte mich lieber darauf vorbereiten
die Ressourcen einzuteilen. Als ob ich auf einer einsamen
Insel gestrandet wäre, die Insel heißt Luna.


Tag 19:
Ich war vorhin eine Runde auf dem Mond spazieren. Es ist an
sich sehr überwältigend, wäre es nicht so leer natürlich.
Ich konnte die Erde sehen. Es sieht genau so aus wie sonst
auch immer. Hoffentlich können sie bald alles regeln, ich
weiß nicht was passiert wenn der Treibstoff ausgeht oder die
Elektronik versagt.


Tag 20, erster Eintrag:
Ich kann es gar nicht fassen. Ich habe meine Forschung heute
fortgesetzt, Steine analysiert. In den Steinen lebt etwas?!
Es reagiert auf Funksignale, glaube ich zumindest. Könnte
das der Grund sein warum die Verbindung abgebrochen ist?
Warum hat die NASA das verheimlicht. Sollte ich als
Testobjekt hier hergeschickt werden? Aber warum sollte ich
dann dieses Geheimnis herausfinden. Ich glaube ich
hyperventiliere.


Zweiter Eintrag:
Hab mich wieder beruhigt. Ich habe einen Nervenzusammenbruch
erlitten. Memo an mich selber, keine Chaostheorie über die
NASA aufstellen wenn ich von denen momentan abhängig bin.
Nicht gut für meinen geistigen Zustand.


Ace Miller 

Donnerstag, 4. Februar 2016

Tagebuch der „Isolationa“ - Ace Miller


Tag 1:
Ich bin endlich angekommen. In der Station auf dem Mond. Der
erste Mensch der hier leben soll. Die Anderen sollen morgen
auftauchen. Sie ist gigantisch, so schön, ein wahres
Meisterwerk. Ein Gravitationsfeld ist in Mitten der Station
gebaut wurden. Fünf Räume, zwei Schlafbereiche für insgesamt
10 Personen, ein Aufenthaltsraum, ein Bad und die
Funkzentrale. Unter der Station ist der Technik- und
Lagerbereich sowie eine Garage für den umgebauten Landrover.
Aufgebaut ist es wie ein riesiger Stern. Als ich von oben
auf die Station geschaut habe war mir noch nicht bewusst wie
überwältigend dies ist. Ich habe mich auch gleich
eingerichtet. Hier wird es sehr interessant werden. Wir
sollen hier erforschen was genau den Mond geformt hat, wie
schnell sich ein Mensch anpassen kann, wir sollen
Gesteinsproben nehmen und analysieren. Ich freue mich schon
so riesig.

Tag 2:
Der zweite Tag ist fast vorbei. Keiner ist gekommen. Da
bleibt die Station weiterhin mein. Ich habe heute 5 Stunden
aus dem Fenster gestarrt. Die Unendlichkeit ist so schön
aber auch erschreckend. Wenn ich genau darüber nachdenke
muss ich sagen, dass ich echt Angst habe das auf einmal die
Fenster nachgeben, dass ich nach draußen gesogen werde und
verschwinde. Mich würde niemand finden. Egal, wenn ich
weiterhin daran denke werde ich noch verrückt. Die Station
ist jetzt eingerichtet. Ich habe es ein wenig geschmückt.
Darf ja nicht alleine meine Arbeit anfangen.

Tag 5:
Immer noch niemand da. Die auf der Erde sagen es gäbe
technische Probleme. Von wegen, die sind einfach zu blöd und
zu geldgeil. Als ob es so schwer wäre ein Shuttel zu
bemannen und hier hoch zu schicken. Die Langeweile bringt
mich um. Ich fange am besten mit der Forschung an, sonst
gehe ich hier noch allmählich ein. Ich benutze aber nicht
den Landrover, ich nehme einfach Gestein von der Umgebung.

 

Ace Miller

Freitag, 25. Dezember 2015

Vier Schichten - Teil III

Von Mr. Big

III

Ihre braunen, unergründlichen Augen lassen keine Rückschlüsse darauf zu, was sie über mich denkt. Ich bemerke, dass wir mit zunehmender Dauer Krümel produzieren, die sich wie kleine Geröllhäufchen auf dem Tellerboden absetzen. Ich schaue auf den Haufen und sehe das Ende unseres Treffens, die unsicheren Tage danach, ich sehe unbeantwortete Anrufe und Mailboxnachrichten. Der Strom an negativen Gedanken nimmt zu, ich muss ihn eindämmen, und zwar schnell, sonst droht er mich mitzureißen. Da stelle ich fest, dass ich es bin, der den Schutt produziert. Also kann ich ihn auch wieder entfernen. Ich hole weit aus und tauche meine Gabel in das Geröll und schlucke meine Sorgen einfach runter. Johanna sieht, wie energisch ich mich über den Schutt hermache und beginnt zu lachen.

„Wawf if so wiffig?“ halte ich ihr mit vollem Mund entgegen, was dazu führt, dass wir beide loslachen müssen.

„Nur so, ich wollte mich gerade auch über diese verdammten Krümel hermachen! Kann ja nicht sein, dass das Einzige, was von diesem schönen Kuchen bleibt, diese Krümel sind. Klar, sie gehören dazu. Aber so schlimm sind sie ja auch nicht.“

Kurios. Das ist der Moment, wo ich realisiere, dass wir total auf der gleichen Wellenlänge sind. Als wir zu Ende gegessen haben und der Aufbruch naht, stelle ich fest, dass ich die Frage aller Fragen noch nicht gestellt habe. Will sie mich wiedersehen? Ich bezahle, bringe ihr den Mantel und versuche meine Chancen aus ihrem Gesicht zu lesen. Sie lächelt mich an. Zum ersten Mal sehe ich die Silberkette, die sie die ganze Zeit um ihren Hals trug. An der Kette befindet sich ein Anhänger, der ein verliebtes Paar zeigt. Ein Zeichen? Ich hole tief Luft. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. 

„Ich muss dich wiedersehen.“, sage ich in dem Moment, als wir auf die Straße gehen.

„Wenn du das musst, dann müssen wir das wohl so machen.“

 „Soll ich dir schreiben?“

„Gerne, ich melde mich dann bei dir und bin beim nächsten Mal auf jeden Fall pünktlich.“

„Ich nehm dich beim Wort…und danke für den tollen Nachmittag.“

Mit einem Lächeln geht sie davon. Ich schaue ihr hinterher, wie sie die Straße entlangläuft und werde dieses Gefühl nicht los, das absolut Richtige getan zu haben. Ich drehe mich um und mache mich auf den Weg zur nächsten Busstation. Als ich die Mauer neben dem Café entlanggehe, bemerke ich, dass jemand die Worte „Der Tag gehört dir“ an die Wand gesprüht hat. Ich bleibe kurz stehen und genieße die herbstliche Luft. Dann richte ich meinen Hemdkragen, kuschel mich in meine dicke Jacke und beginne den Heimweg in Richtung Zukunft. Was auch immer die nächste Station sein wird, nur eines steht fest: Es wird großartig.


Donnerstag, 24. Dezember 2015

Vier Schichten - Teil II


Von Mr. Big

II

Johanna nimmt neben mir auf dem Sofa Platz. Etwas verlegen starten wir beide in die Konversation:

„Und wie geht’s dir?“

Oh man, was frage ich da eigentlich? Ihr geht es blendend. Sie ist charmant und intelligent. Ihr liegt die Welt zu Füßen.

„Gut, gut.“, antwortet sie.

„Hast du denn gut hergefunden?“

„Naja fast. Und bei dir?“

„Alles gut soweit.“

Die großen rhetorischen Ergüsse bleiben noch aus. Allerdings verschafft mir der Smalltalk etwas Zeit, mir gedanklich durch die Haare zu fahren. Sie ist einfach nur Wow. Lange, dunkelbraune Haare, braune, lebhafte Augen. Beine die sagen, hey, schau dir die Mal an. Um ihren Hals ist ein seidenes Tuch gespannt, das zum Rest farblich abgestimmt ist. Diese Frau hat eindeutig Stil. Während ich versuche, ein Götzenbild von ihr in meinen Neuronenspeicher zu brennen, platzt es plötzlich aus ihr heraus:

 „Es tut mir sooo leid, dass ich mich verspätet habe! Ich weiß auch nicht, was da heute los war. Ich bin rechtzeitig aufgebrochen, dann kam die Bahn ewig nicht, dann bin ich am Café vorbeigelaufen und musste einen Passanten nach dem Weg fragen…“

Ihre Entschuldigung ist wie Balsam für die Seele. Ich möchte mich in ihre Worte hineinsetzen und damit einreiben und…

„…deswegen war das mit der Hausarbeit so wichtig, weißt du?“

Moment, welche Hausarbeit, was habe ich verpasst?

„Ähm, öh, ähm…“

So ein Mist, einmal kurz nicht aufgepasst und schon den Anschluss verpasst. Okay, jetzt elegant das Thema wechseln, ohne zu gezwungen zu wirken. Ich schaue mich um…was ist in greifbarer Nähe …die Kerze, die Servietten…die Speisekarte! Mein Rettungsanker. Meine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte.

 „Alsoooo…weißt du schon, was du bestellen möchtest? Ich hab hier mal die…“

„Ich weiß es schon, ich nehme einen Chai Latte.“

Okay, soviel dazu. Noch immer schwebt das ominöse Thema Hausarbeit in der Luft und ich habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll. Mein Blick erspäht die Theke, die jetzt auf wundersame Weise zu meinem knallroten Rettungsboot wird.

„Lust auf ein Stück Kuchen? Da vorne scheint es ein paar Stücke zu geben“

 „Klar, gerne.“

In der anfänglichen Hektik hat sie ganz vergessen ihren Schal abzunehmen. Ich sehe zu, wie ein glänzender Anhänger zum Vorschein kommt. Mir bleibt keine Zeit, genaue Details zu erfassen, denn wir sind schon auf dem Weg zu Theke.

 „Moin, was darf’s denn für EUCH sein?“ fragt sodann die Verkäuferin in perfekter Hamburger Mundart. Die bewusste Überbetonung des Wortes „Euch“ führt dazu, dass Johanna und ich uns verlegen anschauen und meine Haut förmlich akupunktiert wird von diesen Worten. Na toll, und in solch einer Situation sollst du als Mann eine Auswahl zu treffen. Ein kniffliges Unterfangen… viele Kuchen- und Tortenstücke…alles nicht wirklich etwas Besonderes. Es vergehen einige Sekunden der Ratlosigkeit, bis die Verkäuferin die Situation erkennt und eingreift.

„Wir haben auch noch ein ganz besonderes Stück auf Lager, das wird euch gefallen, einen Moment“

Sie verschwindet kurz ins Hinterzimmer und ein paar Sekunden später strahlt uns ein vierschichtiges Kuchenwunder von einem silbernen Tablett aus an. Schoko, Vanille, Blaubeere und Nuss. Damit kann man einfach nicht falsch liegen.

„Das nehmen wir“, sage ich, „und dazu noch zwei Gabeln, bitte!“

Zurück an unserem Platz sitzen wir uns erwartungsvoll gegenüber. Der Smalltalk ist vorbei. Jetzt wird der andere auf Herz und Nieren geprüft. Wer macht den ersten Zug? Ist es der Mann, der von Natur aus grobschlächtigere Geselle, unkultiviert und roh, wird er mit seiner Gabel die wundervoll angehäufte Verführung zerstören oder doch der Dame den ersten Zug überlassen? Ich suche ihren Blick. Sie bringt die Gabel in Position, geht ein Stück nach vorne und zögert dann kurz.

„Willst du zuerst, oder ich?“

Ha, die Falle habe ich kommen sehen.

„Nein, nimm du ruhig. Ladies first.“

Badaabum. Falle entschärft. Ich betrachte Johanna, wie sie mit ihrer Gabel den Kuchen aufrichtet, langsam, fast schon schüchtern in die erste Kuchenschicht eintaucht, dort kurz verweilt und dann die erste Schicht abtrennt.

„ Der ist sooo köstlich.“

„Das kann ich mir vorstellen. Ich teste mal die nächste Schicht.“

Während wir so vor uns hin essen und die Zeit genießen, denke ich über den Kuchen nach und seine vierschichtige Instanz, durch die ich Johanna kennenlerne. Wie Indiana Jones hangele ich mich durch Kuchen und Konversation und bringe dabei so einiges zum Vorschein.

In der ersten Schicht, der Schokolade, entdecke ich ihre Liebe für Süßes, für Weißwein und gute Musik. Etwas tiefer geht es in der zweiten Schicht. Hier bemerke ich Verspieltheit, Ehrlichkeit und Lebensfreude. Die dritte Schicht, die Blaubeeren, imponieren mir. Ihr kesses Auftreten lässt mich darauf schließen, dass ich lieber keine Spielchen mit ihr spielen sollte. In der finalen Schicht, der harten Nussschicht, ist es anders.


Diese letzte Kuchenschicht ist der eine Moment im Universum, den du selbst definieren kannst. Nichts ist festgelegt. Es gibt nur mich, sie und das Café. Die Gabel ist unser Stift, mit dem wir die ersten Zeilen unserer Geschichte schreiben. Der Teller sind die Seiten für das Meisterwerk. So fange ich an mit meiner Gabel die vermeintliche Zukunft zu skizzieren, anzudeuten, abzuwägen. Wir beginnen ein Kennenlernen auf Kuchenebene. Happen für Happen. Schnitt für Schnitt.

Fortsetzung folgt morgen...

Mittwoch, 23. Dezember 2015

Vier Schichten - Teil I


Von Mr. Big

I

Hamburg, Altona

Aufgeregt rücke ich meinen Kragen zurecht, ziehe lange Bahnen durch mein nagelneues, sorgsam gebügeltes Hemd. Mit jeder Sekunde, die verstreicht, schlagen die Zeiger der Uhr auf meine Nerven ein und machen mich nervöser und nervöser. In einem Zustand zwischen Euphorie und Apathie, bemerke ich, dass meine Hände schweißnass sind. Was geht hier bloß vor? Ruhig bleiben, immer schön ein- und ausatmen, probiere ich mir einzureden. Ach was, zum Teufel mit ruhig bleiben. Ich bin ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch! In der Hoffnung einer kurzen nervlichen Verschnaufpause blicke ich aus dem Fenster und bewundere die wunderschöne Gasse, die sich dort auftut.

Draußen scheint die Zeit einen Sprung gemacht zu haben. Obwohl es laut Kalender noch Sommer ist, sind schon die ersten Anzeichen des Herbstes zu erkennen. Gelbe Blätter fliegen sanft durch die Luft, während ihre Brüder und Schwestern bereits ihre Plätze auf dem Kopfsteinpflaster eingenommen haben. Die frische Nachmittagsluft bringt so manche Passanten in Bedrängnis. Sie ziehen sich schildkrötengleich in ihre Jacken zurück.

Mein Blick fixiert wieder die schwarz-weiße Uhr, die lustlos über der Theke hängt. Ihr mechanisches Klicken ist unter den Nebengeräuschen nicht auszumachen, dennoch verursacht jede Bewegung des Zeigers, die ich mit ansehe, ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut. Beruhige dich, noch ist nichts passiert. Noch ist Zeit. Zeit, die Essenz unseres Lebens, das entscheidende Kalkül, welches Abschnitte in Momente und Momente in Zeitpunkte verwandelt, die sich unaufhörlich aneinander reiben. Winzige Mikrosekunden werden freigesetzt, bieten Platz für flüchtige Gedanken. Wie Körner in einer Sanduhr rieseln sie im Takt der Zeiger zu Boden.

Ich überprüfe meine Vitalwerte. Mein Verstand springt von Tisch zu Tisch zu Tisch, quer durch das Café. Ich fliege gedanklich durch den Raum, vorbei an Gästen, Personal, an Tellern voll mit Kuchen und Tassen voll mit Kaffee und bleibe vor mir selbst stehen. Wie ich wohl gerade wirke? Die lockigen Haare, akkurat zerzaust, schwingen sich leicht um beide Ohren. Die Frisur, ein geordnetes Chaos, der Drei-Tage-Bart, die stoppeligen Kotletten. Alles zusammengenommen ergibt das Bild eines typischen Singles.

Hier im Café LilliSu herrscht reger Betrieb. Von meinem Sofa aus kann ich die anderen Besucher beobachten, was großen Spaß macht. Doch je mehr ich nachdenke, desto weiter entferne ich mich aus dem Café, zurück in meine Traumzwischenwelt. Tausend Fragen schießen durch meinen Kopf. Was weißt du schon über sie? Hast du dich passend angezogen? Was studiert sie nochmal? Wird sie kommen? Warum habe ich dieses Café ausgesucht? Was sind ihre Hobbies? Wird sie kommen? Über was werden wir sprechen? Wie wird ihr erster Eindruck sein? Und vor allem: Wird sie kommen?

Nun ist sie schon fünf Minuten zu spät…kein Grund zur Sorge, aber ich spüre, dass jede Zelle meines Körpers in heller Aufregung ist. In mir drin veranstalten die Moleküle einen Kurzstreckensprint auf unbekannte Länge. Ich bin aus der Puste vom Sitzen, was rede ich da, vom Warten und auf die Uhr starren. Ich muss mich ablenken. Ich spüre, wie mein Herz an mein Hemd schlägt, das mittlerweile wie ein Neopren-Anzug an meiner Brust klebt.

Das Café beginnt sich bereits zu leeren. Bald werde ich allein im LilliSu sitzen. Ich beginne, langsamer zu werden. Zäh wie Brei fließt die Enttäuschung durch meine Adern. Das Zittern beginnt zu versiegen. Fünfzehn Minuten nach um 3. Ich bin sehr altmodisch, wenn es um bestimmte Regeln geht. Das akademische Viertel ist um. Sie kommt nicht mehr, beginnt eine Stimme in meinem Kopf zu sagen. Ich wehre mich mit aller Macht gegen die Gedanken.

„Ach was soll’s“ sage ich laut und greife meine Jacke. Ich bin gerade dabei, nach dem Türknauf zu greifen, als die Tür aufschwingt und Johanna das Café betritt. Von ihr geht eine Aura aus, die einmal quer durch den Raum wirbelt. Ich schmeiße die Jacke schnell zurück zum Sofa, versichere mich, dass der Kragen richtig sitzt und begrüße sie mit einem ehrlichen:

„Schön, dass du doch noch gekommen bist.“

Sie wirkt etwas aus der Puste, wirft mir aber ein nettes Lächeln zu, das fünfzehn Minuten nervlichen Terror restlos auslöscht.

„Ich wurde aufgehalten, aber ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Danke, dass du gewartet hast.“

Schon gut, du bist es ja nicht, die die Löcher in meinem Nervensystem nachher flicken muss. Aber vielleicht brauche ich das auch gar nicht. Meine nervliche Raserei wird zu einem innerlichen Blumenpflücken, wenn ich dich ansehe.

 „Wo sitzt du?“, fragt sie. „Gleich dort drüben, sage ich und zeige auf das alte, aber bequeme Sofa gleich in der Nähe. Der Ort ist unschwer zu übersehen, er ist der Einzige, wo eine Jacke quer über dem Tisch liegt.


Das Café besitzt seinen ganz eigenen Charme. Während auf unserer Seite des Raumes Massivholztische aufwarten, sind in der anderen Hälfte beigefarbene Tische und Stühle zu sehen. Diese duale Farbschema aus hell und dunkel zieht sich entlang der Wände bis zu der Regalreihe, in deren Abteilungen alles zu finden ist, von Reisetipps über aktuelle Tageszeitungen bis zu esoterischen Magazinen und Mitnehm-Postkarten. Am äußersten Ende führt ein kleiner Gang hinein in die Küche, rechts daneben thront die Theke mit ihrem Angebot. Die Kellnerinnen, die bereits drohten in den Winterschlaf zu fallen, sind wie reaktiviert. Johannas Erscheinen ist ihr persönliches Aktionszeichen. Plötzlich erwacht das verschlafene Café zum Leben. Die Theke füllt sich, eine Kerze wird angezündet und wie durch Zauberei materialisieren sich in Millisekunden zwei Speisekarten auf unserem Tisch.

Fortsetzung folgt morgen...